Eine Winternacht. Irgendwo auf einem Rangierbahnhof schleichen zwei Gestalten zwischen den Gleisen herum. Es sind Schneemänner, in dunklen Hoodies, die Kapuze über den Kopf gezogen. Sie müssen lange suchen, bis sie den Kühlwaggon gefunden haben. Einer setzt die Brechstange ans Schloss, der andere gibt ihm mit der Taschenlampe Licht.

«Ahrrgh!», stöhnt der Schneemann, dann rutscht er ab und das Brecheisen fällt scheppernd auf den Boden.

«Pssst! Pass doch auf!», zischt der andere.

Nach einem erneuten Versuch schaffen sie's, öffnen die Türe und schlüpfen hinein. Überall vereiste Kisten. Das Thermometer zeigt -18° Celsius an. Die beiden ziehen ihre Hoodies aus und atmen auf.

«Norilsk», schwärmt einer und lässt das Wort auf seiner Zunge vergehen. «Zentralsibirien. Dort hat's Permafrostboden. Meinst du, dass da Tannen wachsen?»

«Ist doch egal. Hauptsache, wir finden das Paradies.» Dann nicken beide erschöpft ein.

 

Nach vielen Tagen und unzähligen Haltestellen gucken sie erneut aus dem Türspalt.

«Wir sind da!», schreit einer.

«Woohoo!», brüllt der andere und springt aus dem Kühlwaggon. Dann sehen sie das Schild am Wegrand: Norilsk. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn von weitem sehen sie die Lämpchen auf Pfählen blinken und man hört den Techno-Sound. Rund um den kleinen, zugefrorenen See steigt die Nonstop-Party. Schneemänner werfen ihre Hüte in die Luft, Schneefrauen tanzen oben ohne zu dem hämmernden Beat.

«Boah! Ich wusste, dass es diesen Ort tatsächlich gibt!»

 

Dann wird es plötzlich ruhig. Alle senken den Kopf und halten sich an den Händen. Der Oberschneemann räuspert sich und spricht dann ins Mikrofon: «Eine Schweigeminute bitte. Für dass der Klimawandel stoppt und die Temperatur nicht weiter ansteigt...»

Danach wird der Ghettoblaster wieder auf volle Lautstärke gedreht und der Permafrostboden erzittert unter den stampfenden Füssen.

 

 

Anm.d.Red.: Norilsk gilt mit knapp 175`000 Einwohnern als nördlichste Grossstadt der Erde. Sie ist nur mit dem Flugzeug erreichbar ;-)