Winterschlaf ("Sleep deep")

 

Eva hält sich auf dem Bürostuhl die Hand vor den Mund und gähnt zum hundertsten Mal. Birgit, ihr gegenüber, fragt: «Na, das Wochenende wieder mal durchgefeiert?»

Eva: «Och nö, ich bin einfach nur verdammt müde, auch wenn ich vor 22 Uhr ins Bett gehe. Und dieses triste Wetter haut mich zusätzlich um.»

Birgit lächelt und meint: «Wieso tust du dir das eigentlich an? Kennst du «Sleep deep» denn noch nicht? Unsere halbe Abteilung hat schon eine Packung zu Hause. Andreas und Christa sind schon weg und ich beginne nächste Woche damit. Das Gute daran: Die Krankenkasse zahlt`s und du kriegst mit dem Rezept drei zusätzliche Frei-Monate von der Firma. Mitarbeiter sind nachweislich produktiver nach einem Winterschlaf!»

Da macht Eva grosse Augen und beschliesst, bald einen Termin bei ihrem Hausarzt zu machen.

 

Als sie vor ihm sitzt, dreht der Arzt die winzig kleine Packung in seinen Händen und legt sie dann vor Eva auf den Tisch.

«Also, Frau Walder. In dieser Packung befindet sich eine Kapsel. Diese reicht bis Ende Februar, wenn Sie sie Anfang Dezember einnehmen.»

Eva: «Und worauf muss ich achten?»

Arzt: «Nach der Einnahme fährt ihr gesamter Stoffwechsel runter, genauso die Herzfrequenz. Trinken und essen Sie vorher genügend und vergessen Sie nicht, zur Toilette zu gehen. Das ist alles. Keine Nebenwirkungen, soweit bewiesen. Seien Sie sich einfach bewusst, dass Sie die ganze Adventszeit, Weihnachten und Neujahr verpassen.»

Okay, kein Einkaufs- und Geschenke-Stress dieses Jahr.

 

Glücklich spaziert Eva zur Bushaltestelle. Und was ist mit ihrer Katze? Wer füttert sie? Sie dreht auf dem Absatz und geht zurück zur Arztpraxis.

Die Praxisassistentin hält ihr sogleich eine kleine Schachtel entgegen.

«Ah, das haben Sie vorhin vergessen. Das sind die niedrig dosierten «Sleep deep» für Ihre Katze, die Sie erwähnten.»

 

Und jetzt sitzt Eva das letzte Mal auf dem Klo und überlegt sich, ob sie das hübsche Negligé, oder doch besser das warme Flanell-Pyjama anziehen soll. Auf dem Bettrand streckt sie sich gähnend, bevor sie sich in ihre weiche Bettdecke einmummelt. Smartphone aus. Licht aus.

 

«Schlaf gut, Schnurrli», flüstert sie ihrer Katze zu, doch die ist schon in ihrem Körbchen weggetreten.